Götter im Freien

1998 rief mich ein Freund an. Ich solle ihn besuchen kommen, er möchte mir ein Bild zeigen. Was er mir zeigte, war ein Ferkel. So ein kleines Schweinchen mit einem etwas zu großen Kopf. Es war vom Künstler mit einem dunklen, satten Strich auf die Leinwand geworfen. Ein Minutenbild, schnell, kraftvoll und präsent. Das Ferkel reckte mir die Schnauze entgegen, frontal, es sprang mich regelrecht an. Rechts darunter der Schriftzug „Götter 1998“. Ich war angetan. Gesehen, gekauft.

 

Wenig später lernte ich den Maler dann kennen und war verblüfft. Wie kann ein Mann, der so leise spricht, so expressive Bilder malen? Vielleicht ist das auch gar kein Widerspruch. Vielleicht muss ein Künstler diese Ruhe haben, wenn er einerseits einen expressiven Stil pflegt, aber andererseits figürliches Ferkelmalen nicht lassen will.

 

Denn Götter ist in seinen Motiven und Genres überwiegend traditionell: Portrait, Tiere, Landschaften. Ein echter Spross der Münchner Kunstakademie – schon vor 200 Jahren hat man hier die gleichen Gattungen bearbeitet. Was macht darüber hinaus sein Eigenes aus, das er selbst in dem Titel „Götter im Freien“ ausgedrückt findet? Mit sind drei Eigenarten der Götterschen Malerei aufgefallen.

 

Götter malt figürlich. Sein expressiver Stil führt ein wichtiges Anliegen der alten Genre-Realisten fort. Er will, ich bleibe bei dem Beispiel, ein Ferkel so malen, dass jeder von seiner Authentizität berührt wird und es als gut und lebendig getroffen erkennen kann. Der Kunstgenießer sagt: Ja, das ist wirklich ein Ferkel, und was für eins! Eine Reaktion, über die sich natürlich jeder Künstler freuen sollte. Einmal weil sie ihn in seiner Kunstfertigkeit bestätigt. Und zum Anderen, weil ein treffendes Bild, das ohne akademische Vorbildung genossen wird, sehr viel mehr Menschen zum Kauf bewegen kann. Man könnte sagen, „Götter im Freien“ deutet auf die Freiheit hin, figürlich zu malen, auch wenn das vielen seiner Kollegen obsolet erscheint.

 

Eine zweite Eigenart Lothar Götters ist dagegen sehr modern: Für ihn gehört die Situation des Malens und was dabei geschieht potentiell zum Werk dazu – Zufälle und Widrigkeiten der Natur mit eingeschlossen. Was auch immer bei der Entstehung des Werkes passiert, kann Teil des Werkes werden. In meinem Wohnzimmer hängt ein Schlittenhund mit einem Auge aus Blattgold. Wie kommt das da hin? Es ist ihm zufällig ins Gesicht gesegelt – weil Lothar Götter den Husky in der Vergolderwerkstatt seiner Frau malte. Ein weiteres Beispiel. Einige von Götters Moorbildern entstanden im Murnauer Moos. Die fertigen Werke befestigte er für die Heimfahrt auf dem Dach seines Geländewagens, als es zu regnen begann. Dicke Regentropfen zogen lange Linien über die frisch bemalte Leinwand. Ein anderer Künstler hätte kurz geflucht, neu grundiert und wäre bei besserem Wetter wiedergekommen. Ganz anders Lothar Götter. Er sieht sich das vom Regen nachbearbeitete Bild an. Dann nickt er, lächelt und heißt den Zufall willkommen. Bin so frei, denkt er sich.

 

Drittens genieße ich bei Götters Bildern die eigenartigen Perspektiven und ungewohnten Farbeindrücke. Was auf den ersten Blick ungewohnt wirkt, schließt auf den zweiten eine eigene Welt auf. Zum Beispiel die Welt eines Hundes, der so gemalt ist, dass der Standpunkt des Betrachters etwa 20 cm über dem Trottoire, also auf Schnauzenhöhe liegt. Das hat eine gewisse Komik. Sie werden sie in vielen Bildern Götters wiederfinden. Achten Sie auf seine Farben. Kaum eine ist genau so, wie man sie zu kennen glaubt. Deshalb kann sie Ihnen etwas zeigen, was Sie so noch nicht kennen. Auch die Freiheit nimmt sich Götter im Freien.

 

Wir sind es gewohnt, die Freiheit als etwas zu betrachten, das durch andere Menschen bedroht ist: Meine Freiheit endet, wo die der Anderen beginnt. In der Kunst ist das ganz anders. Wo immer sich Lothar Götter eine Freiheit herausnimmt, eröffnet er Ihnen ebenfalls eine. Die Freiheit der Kunst steckt an. Also: Folgen Sie Götter ins Freie.

 

Dr. Thomas Vogl, 2010